Kritiken


Wenn die Welt noch zu entdecken ist

"Rosensammlerin": Gedichte des Peiners Klaus Nührig


Von Martin Jasper (Braunschweiger Zeitung, 6.9.2006)

Winter, ein Zimmer, das nie geheizt wird: Klaus Nührig beginnt seinen Gedichtband nicht sehr einladend. Aber der Junge, der es an diesem unwirtlichen Ort aushalten muss, hat sein eigenes Reich geschaffen: "Eine Bärin pflegte hier ihr Junges/ ein Indianer rauchte seine Friedenspfeife/und ich war immer/eingeladen".

So wird das Eiszimmer doch bewohnbar – durch die Abenteuer des Lesens, die Freunde aus den Geschichten. Nührig, der Deutschlehrer aus Peine, beschwört in seinen Versen immer wieder die Verzauberung durch die Literatur, die im Kindesalter beginnt. Dem abendlichen Vorleser an den Kinderbetten raunt er zu: "Gib der Prärie Atem/ lass die Indianer leben/ und Freitag seinen Mund öffnen".

Das Gedicht "Schatzinsel" beginnt mit den Zeilen: "Lass treiben das Kind/ auf Meereswellen/ in den Schlaf." Und im Gedicht "Huckleberry" klopft das lyrische Ich im Auftrag der Tochter an die Regentonne des unsterblichen Rumtreibers: "Hören will sie/ von einem, der/ Freund sein will".

Mit wenigen Worten Welten eröffnen, mit kargen Notaten Resonanzräume zum Klingen bringen, das gelingt Nührig in seinen besten Gedichten. Am schönsten sind in dem Band "Die Rosensammlerin" die Erinnerungen an die Kindheit, in denen nicht nur Leseerlebnisse beschworen werden. Sondern auf sensible, freundliche, aber unsentimentale Weise werden auch Scheunen, Gärten, Eisblumen oder Schmetterlinge mit poetischen Gedanken aufgeladen. Wie wunderbar, wenn die Welt noch zu entdecken ist.

Und dann die Liebe. Das heikelste Gewächs der Lyrik. Welche Metapher wäre da noch jungfräulich, welches Bild nicht verbraucht, welches Bekenntnis landete nicht auf der Kitschklippe?

Nührig findet nun auch nicht die ganz neue Sprache für die Liebe, manches gerät etwas schlicht. Manche Symbolik siedelt im Naturidyll, die Errungenschaften der Moderne bleiben draußen vor der Tür.

Doch zum Glück bleibt Nührig auch hier eher spröde, sein Stil behutsam tastend und skizzenhaft. Auch die Liebe scheint bei ihm wie die Kindheit durch die Literatur zu gehen. Er beschwört Cyrano de Bergerac, der die Hand nicht mehr zum Kämpfen, sondern zum Besingen der Geliebten gebrauchen will.

In einem der schönsten Gedichte wünscht sich der Dichter "…könnte dein Mund/ führen meine Feder".

Ein wesentliches Motiv dieser Liebeslyrik: Das Staunen darüber, dass es die Liebe des anderen ist, die den eigenen Wert ausmacht.

Klaus Nührig: "Rosensammlerin", Leda-Verlag, 78 Seiten, 9,90 Euro.

Quelle: newsclick.de